
Herr Bundesrat Cassis,
Es handelt sich um die Schweiz.
Es geht um das, was unser Land ausmacht.
Es handelt sich um die politische Seele der Schweiz, die mehr ist als die Summe von Gesetzen, Paragraphen und Verordnungen.
Es geht darum, dass dieses geplante Abkommen mit der EU die politischen, historischen und geistigen Grundlagen der Schweiz zerstört.
Die Schweiz ist ein wunderbares Gebilde. Das beginnt mit ihrem Namen; offiziell heißt die Schweiz nicht Schweiz, sondern Schweizerische Eidgenossenschaft, und da die Schweiz mehrsprachig ist und darauf bedacht, keine Sprachgruppe zu vernachlässigen, hat man sich auf die gemeinsame lateinische Formel Confoederatio Helvetica geeinigt. Sie ist täglich auf den CH-Aufklebern an Schweizer Fahrzeugen zu sehen. Die Nummernschilder wiederum zeigen die Kantonszugehörigkeit des Fahrzeughalters an.
Wir befinden uns also mitten im Schweizer Sonderfall. Wir sind Schweizer, aber immer auch Tessiner, Genfer, Zürcher oder Angehörige eines anderen Kantons. Der Name Schweizerische Eidgenossenschaft verweist auf die historischen Wurzeln unseres Landes und definiert uns als föderalistischen Staat und Gemeinschaft.
Der erste Artikel der Bundesverfassung trägt den Titel "Schweizerische Eidgenossenschaft" und erklärt dann, was darunter zu verstehen ist: "Das Schweizervolk und die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen, von Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuchâtel, Genf und Jura bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft. "
Der oberste Souverän ist das Schweizer Volk
Das Volk und die Kantone bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft. Gemeinsam bilden sie die Legislative unseres Landes, sowohl in Form der direkten Demokratie - mit Initiativen und Referenden - als auch in Form der repräsentativen Demokratie. Der Nationalrat und der Ständerat vertreten das Schweizer Volk bzw. die Kantone. Jedes Gesetz muss von beiden Kammern und von der Bevölkerung entweder stillschweigend oder durch ein Referendum angenommen werden. Diese demokratische Mischung ist einzigartig in der Welt.
Kurz gesagt: Das Schweizer Volk ist der oberste Souverän und der Gesetzgeber.
Das derzeit vorgeschlagene Paket von Abkommen mit der EU steht in völligem Widerspruch zu den Grundfesten der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Mehr noch: Dieses Abkommen zerstört das Wesen der Schweiz. Warum?
Im Gegensatz zu den bisherigen bilateralen Abkommen handelt es sich bei dem geplanten Vertragspaket mit der EU um ein institutionelles Abkommen. Konkret bedeutet dies, dass sich die Schweizer Institutionen den EU-Institutionen unterordnen müssen. Das Schweizer Volk als Souverän und oberster Gesetzgeber wird entmachtet und die Kantone werden deklassiert.
Ausländisches Recht und ausländische Richter
Das Hauptproblem dieses Pakets von Abkommen mit der EU ist die obligatorische Übernahme von fremdem Recht und fremden Richtern. Mit dem Inkrafttreten dieser Abkommen würde die Schweiz auf einen Schlag rund 20'000 Seiten EU-Gesetzestexte übernehmen. Darüber hinaus würde sich die Schweiz verpflichten, künftig alle Entscheidungen der EU zu übernehmen, und zwar in grundlegenden Bereichen unseres Lebens wie Einwanderung, Landverkehr, Ernährung, Elektrizität, Gesundheit usw. Die Schweiz würde sich auch verpflichten, die von der EU getroffenen Entscheidungen zu übernehmen.
Nicht mehr der Schweizer Souverän (das Volk und die Kantone) wäre unser oberster Gesetzgeber, sondern die EU. In Zukunft würde die Auslegung des Rechts in die Zuständigkeit des EU-Gerichtshofs fallen. Im Streitfall wäre die Entscheidung des EuGH "bindend". Sollte sich die Schweiz dem EuGH widersetzen, würde sie mit "Ausgleichsmaßnahmen" seitens der EU rechnen müssen. Mit diesem Abkommen würde die EU die rechtliche Souveränität erhalten, um nicht konforme Entscheidungen der Schweiz zu sanktionieren, unabhängig davon, ob sie vom Parlament oder vom Volk getroffen werden.
Das zu übernehmende Recht würde nicht nur für Exporte in die EU gelten, sondern für alle Personen und Unternehmen in der Schweiz, in unserem täglichen Leben! Selbst die in der Schweiz hergestellte und verkaufte Erdbeerkonfitüre müsste die lebensmittelrechtlichen Anforderungen der EU erfüllen. Mit diesem Paket von Abkommen und seinen institutionellen Verpflichtungen wären wir der EU ausgeliefert und würden unsere Selbstbestimmung, unsere Demokratie und unseren Föderalismus verlieren.
Das Paket von Abkommen mit der EU würde fremdes Recht, fremde Richter, willkürliche Sanktionen und regelmäßige Tribute bedeuten, deren Höhe von der EU festgelegt wird. Dies sind Zustände, die eines Kolonialstaates würdig sind. Die SVP Schweiz lehnt dieses EU-Beitrittsabkommen kategorisch ab.
Eid auf die Bundesverfassung
Artikel 1 der Bundesverfassung definiert die Schweizerische Eidgenossenschaft, Artikel 2 legt ihren Zweck fest: "Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes."
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Wahrung von Freiheit, Sicherheit und Unabhängigkeit sowie um den Schutz der demokratischen Rechte des Volkes. Sie und Ihre Kollegen im Bundesrat haben einen Eid auf diese Bundesverfassung geleistet: "Ich schwöre vor Gott, dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze zu achten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen."
Das uns vorliegende Paket von Abkommen mit der EU steht im Widerspruch zur Bundesverfassung und zu Ihrem Amtseid. Die Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz wird geopfert und die demokratischen Rechte des Volkes werden ausgehöhlt. Unsere einzigartige Schweizer Demokratie wird in eine Alibi-Demokratie verwandelt, die Brüssel ausgeliefert ist.
Der Tiefpunkt ist mit der vorläufigen Entscheidung des Bundesrates erreicht, dieses Paket von Abkommen mit der EU nicht einem obligatorischen Referendum zu unterwerfen. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist im Begriff, ihre Gesetzgebungshoheit zu verlieren, ohne dass die Schweizerische Eidgenossenschaft - d. h. das Volk und die Kantone - dazu Stellung nehmen können. Dieses Vorgehen missachtet alle demokratischen Konventionen unseres Landes.
"Öffne deine Augen"
Als Mitglied des Bundesrats gehen Sie fast täglich ins Bundeshaus. Machen Sie die Augen auf, Herr Bundesrat.
Unser Parlamentsgebäude ist die architektonische Umsetzung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. In der Mitte befindet sich die Kuppel. Im Inneren ist sie mit einem Glasgewölbe geschmückt. In der Mitte befindet sich das Schweizer Kreuz, umgeben von den Wappen der Kantone, die in einem Kranz angeordnet sind. Das ist der in Stein und Glas gemeißelte Artikel 1 der Bundesverfassung: Das Schweizer Volk und die Kantone bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft.
Über der Kuppel des Bundeshauses thront das Schweizer Kreuz und nicht zwölf gelbe Sterne auf blauem Grund. Im Ständerat erinnert das Bild der Landsgemeinde von Nidwalden an die uralten demokratischen Wurzeln der Schweiz: Das Volk ist der direkte und unmittelbare Gesetzgeber, nicht Brüssel und seine Richter.
Der Nationalratssaal stellt die "Wiege der Eidgenossenschaft" dar: die Rütliwiese, der Brunnen, Schwyz. Besucher, die das Bundeshaus betreten, werden von den drei alten Eidgenossen begrüßt. Ihre Hände sind zum Schwur ausgestreckt. Darunter ist der Bundesbrief von 1291 mit seinen drei Siegeln zu sehen.
Hier läuft alles zusammen: Vor über 700 Jahren schlossen sich die drei Täler Uri, Schwyz und Unterwalden mit einem klaren Ziel zusammen: Sie wollten selbst entscheiden und sich gegenseitig unterstützen. Derselbe Geist findet sich auch in Artikel 2 (Zweck) der Bundesverfassung, in dem es um die Wahrung der Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz geht.
Freiheit oder Unterwerfung?
Der wesentliche Inhalt des Bundesvertrags von 1291 ist Freiheit statt Knechtschaft: Es geht um ein Bündnis zwischen gleichberechtigten Bundesgenossen statt um das Untertanenverhältnis, das zuvor bestand und das weiterhin auf den Grafen von Habsburg lastete. Das EU-Vertragspaket atmet den Geist der Unterwerfung, den unsere Vorfahren aufgegeben haben.
Der Bundespakt besteht nur aus einer einzigen Seite Pergament. Aber alles Wesentliche ist darauf enthalten. Die zentrale Botschaft lautet wie folgt:
Wir wollen keine fremden Richter
Wir wollen keine fremden Herren
Wir wollen selbst entscheiden!
Eine Seite - eine Botschaft. Die Wahrheit braucht nicht viele Worte.
Der EU-Beitrittsvertrag ist das genaue Gegenteil: Mit allen Erklärungen umfasst er 2.207 Seiten, dazu kommen mehr als 20.000 Seiten EU-Verordnungen.
Wenn man etwas verbergen will, braucht man viele Worte.
Wenn man das Volk täuschen will, braucht man Tausende Seiten EU-Gesetze, EU-Paragrafen, EU-Richtlinien und EU-Verordnungen.
Das europäische Vertragspaket ist in Wirklichkeit ein Unterwerfungsvertrag:
Wir hätten ausländische europäische Richter
Wir hätten ausländische europäische Gesetze
Wir würden unsere Freiheit verlieren
Wir würden unsere Schweizer Demokratie und Selbstbestimmung verlieren
Die zentrale Frage dieser Konsultation lautet: Wollen wir Freiheit oder Unterwerfung?
Für die SVP ist die Antwort klar: Wir sagen Nein zur Unterwerfung, Nein zum EU-Beitrittsvertrag und Ja zu einer freien und demokratischen Schweiz.
Sehr geehrter Herr Bundesrat Cassis, denken Sie an Ihren Eid, die Bundesverfassung und unsere gemeinsame historische Verantwortung für unser Vaterland.
Mit herzlichen Grüßen
Thomas Aeschi
Fraktionsvorsitzender der SVP Schweiz
Junge SVP Kanton Freiburg
CH61 3076 8250 1187 0510 2